Donnerstag, 25. Dezember 2014
Weihnachten als Dezember-Dekoration
Weihnachten ist unübersehbar in China. Spätestens Ende November tauchen die entsprechenden Dekorationen auf.



Auch kleinere Läden stellen hier im Dezember Weihnachtsbäume auf und bieten glänzende Girlanden feil. Die grossen Hotels und Warenhäuser treiben etwas mehr Aufwand und stellen auch das Musikprogramm entsprechend ein. So schallt einem jetzt auf der Strasse häufig „We wish you a merry Christmas“ entgegen, aber auch „Stille Nacht“ auf Chinesisch oder „Gingle bells“ auf Französisch kann es sein. Mehr noch aber dürften die Rabatt-Aktionen die Menschen in die Warenhäuser locken – Weihnachten ist hier unverhüllt, was es bei uns auch längst zum grössten Teil geworden ist: eine kommerzielle Angelegenheit. Im Zentrum von Xian gibt es sogar einen kleinen Weihnachtsmarkt, der sich stark am Standard-Design orientiert, wie es sich in den letzten Jahren in Europa durchgesetzt hat - verkauft werden nicht Kerzen u. ä., sondern normale Waren.



So wie bei uns der Valentinstag oder Halloween Einzug gehalten haben, so ist Weihnachten nach Asien gekommen. Weihnachten – das ist sozusagen die Dezember-Dekoration. Mit den Christen in China (20 Mio. nach offiziellen Angaben, 30 bis 80 Mio. nach Aussagen verschiedener christlicher Autoren) hat das nichts zu tun, auch nicht mit ihrem angeblich grossen Aufschwung, von dem hier wenig sicht- und spürbar ist. Zwar gibt es in Xian vier Kirchen, darunter auch eine hübsche alte Barockkirche, die an Lateinamerika erinnert – darin finden täglich zwei Gottesdienste statt, morgens und abends um 7 Uhr. Und natürlich gibt es am Heiligen Abend einen Weihnachtsgottesdienst. Auf dem dicht gefüllten Vorplatz wird von weiss gkleideten Priestern eine Messe gefeiert; ein recht gut singender Kirchenchor singt „Stille Nacht“ - alles auf Chinesisch.


Die alte Kirche am Nachmittag ...


... und am Heiligen Abend

Heiliger Abend – auch hier so genannt - ist aber in den letzten Jahren auch ein Volksfest für die Jugend geworden. Chinesische Auslandstudenten, die im Westen an Weihnachten gemeinsam Partys feierten, haben den Brauch in Chinas Städte gebracht und damit ein enormes Echo ausgelöst. Hier in Xian ist grosses Gedränge im Zentrum, viele Leute sind am Abend auf den Beinen, teilweise mit Kindern, vor allem aber die Jugend. Man bummelt, manche tragen Santaclaus-Mützen, manche glitzernde Halbmasken, die an den Karneval in Venedig erinnern, oder leuchtende Hasenohren oder Teufelshörner (!) - Partyaccessoires halt. Am 25. Dezember ist wieder normaler Arbeitstag, an meiner Schule z. B. ist grosser Semesterprüfungstag, weshalb die meisten Schüler am Abend vorher knurrend lernen.


Party um den wie immer beleuchteten Glockenturm im Zentrum

Ist die weihnachtliche Präsenz in China ein Hinweis auf dessen zunehmende Verwestlichung? Bedeutet die Modernisierung Verwestlichung? „The key to understanding Asian modernitiy, like Western modernity, lies not in the hardware, but in the software – the ways of relating, the values and beliefs, the customs, the institutions, the language, the rituals and festivals, the role oft he family“, schreibt der Engländer Martin Jacques in seinem bedeutenden Buch von 2009 „When China Rules the World“. Nichts spricht dafür, dass Weihnachten für die Chinesen eine tiefere Bedeutung hat, als dass man einfach globalisiert feiert; ihre Eltern wüssten gar nicht, was das sei, meint eine Kollegin. So wie bei Hochzeiten mittlerweile das westliche weisse Brautkleid Mode ist – daneben hat die Baut aber noch ein zweites, traditionell rotes, das sie im Verlauf des Festes anzieht – so hat man auch hier gewisse Formen übernommen, ohne dass damit auch der westliche Inhalt mitgemeint ist.

Die Orientierung am Westen scheint im übrigen in manchen Bereichen eher etwas rückläufig, und das nicht nur, weil der im Volk beliebte Staats- und Parteichef Xi Jinping das propagiert. So sieht man heute weniger westliche Models in der Werbung als vor ein paar Jahren. Wenn die Weihnachtsdekorationen dennoch populär zu sein scheinen (viele Passanten fotografieren sich davor), dann scheint mir das eher mit dem Hang der Chinesen zum Kitsch zu tun haben. Ähnlich wie in Italien, mit dessen Kultur China nicht nur die zentrale Bedeutung des Essens teilt, finden sich hier ein reiches kulturelles Erbe von exquisitem Geschmack ebenso wie ein Sinn für Eleganz bei wachsenden Teilen der Bevölkerung neben und gleichzeitig mit erbärmlichem Kitsch in allen Bereichen. Besonders dem Hang zu glitzernden Lichtern, der sowohl an der nächtlich beleuchteten Stadtmauer wie an vielen Hochhäusern ausgelebt wird, kommen Weihnachtsdekorationen natürlich sehr entgegen. Mit Weihnachten kommt also – in Jacques’ Worten – keine neue Software nach China, die Hardware wird lediglich für ein paar Wochen neu dekoriert.

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