Montag, 27. Oktober 2014
Reisen in China: Bahn, Schiff, Bus etc.
Nach ein paar Erfahrungen lässt sich folgende Zwischenbilanz ziehen: Am bequemsten ist es natürlich mit einer westlichen Reisegruppe; in Gruppen mit Chinesen wird man überbehütet, allein geht es manchmal besser, manchmal ist es auch schwieriger. Die neuen Transportmittel U-Bahnen und Superschnellzüge sind sehrzweckmässig, bequem und effizient; die älteren – traditionelle Bahn und Busse – verlangen weit mehr Geduld. Die Chinesen sind, anders als man das oft liest, sehr hilfsbereit, manchmal aber fremdsprachlich schon sehr limitiert. Und dass es so viele Chinesen gibt – zu viele, sagt „Jimmy“ – macht es auch nicht immer einfacher.

Jimmy, so nennt sich der Mann vom Reisebüro in Qongching, der sich wie alle Chinesen für den Kontakt mit Westlern einen westlichen Namen zugelegt hat. Er holt uns zwei am Flughafen ab und soll uns aufs Schiff bringen für eine dreitägige Reise durch die be-rühmten der Schluchten des Yangtse. Er spricht nicht nur ausgezeichnet Englisch und war schon in der Schweiz (auch auf dem Jungfraujoch), er hat auch viel Zeit und zeigt uns stolz das Zentrum vom Chongqing, der formell – wenn man den dazugehörenden Landkreis dazu rechnet – grössten Stadt der Welt. Eine Boomtown mit beeindruckend moderner City auf einem Hügel zwischen zwei Flüssen, wimmelnd vom Menschen; zwi-schen gläsernen Wolkenkratzern verborgen findet man einen Tempel.



Zweimal Chongqing. Das Opernhaus leuchtet in der Nacht und hat eine Bildschirmfassade

Jimmy bezeichnet das eine Extrem von Chinesen, mit denen man es zu tun haben kann beim Reisen; das andere sind die drei Damen an der Rezeption des Hotels in Wuhan, auch einer Millionenstadt, drei Tage später: keine kann auch nur ein Wort englisch, und auch meine chinesischen Brocken wollen sie erst im dritten Anlauf verstehen.

Auf der Schiffsreise sind die Chinesen die grosse Mehrheit, zwei westliche Reisegruppen werden von chinesischen Reiseleitern eng betreut. Wir trotten mit, wenn es Ausflüge gibt, am runden Zehnertisch beim Essen werden wir von den Chinesen „betreut“, die interessiert unsere Handhabung der Stäbchen verfolgen und dafür schauen, dass wir genug erhalten. Ein Lautsprecher, in jeder Kabine vorhanden und wie üblich zu laut eingestellt, weckt am morgen und gibt den ganzen Tag durch, was zu tun, wann zu essen, was zu sehen ist – zum Glück lässt sich der Stecker ausziehen, der akustische Terror wäre sonst kaum auszuhalten.

In den Schluchten

Seit der Drei-Schluchten-Staudamm steht, ist der Wasserspiegel des Yangtse gestiegen und der Fluss breiter geworden, die Schluchten sind aber immer noch beeindruckend. Das Schiff fährt durch, hält da und dort, einmal gibt es einen Ausflug in einen Nebenfluss, wo eine ethnische Minderheit wohnt. In einem neu gebauten Kulturzentrum kann man einen 2000 Jahre alten Sarg bewundern, wie sie in der Gegend in Felsspalten deponiert wurden; und in Fantasy-Kostümen werden angeblich traditionelle Tänze präsentiert. Am Ufer tauchen ab und zu neue weisse Städte auf, welche für die in den Fluten versunkenen Dörfer gebaut wurden. Sie sehen nicht schlecht aus, es soll da aber, erzählt eine lokale Führerin, teilweise dreizehnstöckige Hochhäuser ohne Lift geben – ob absichtlich oder aus Unachtsamkeit, ist unklar.


Neue Stadt

Der Drei-Schluchten-Staudamm wurde errichtet, um das grösste Wasserkraftwerk der Welt zu betreiben. Erste Pläne dafür gehen auf den Republikgründer Sun Yatsen Anfang 20. Jh. Zurück. Beschlossen wurde der Bau 1992, fertiggestellt 2006, 2008 wurde das Kraftwerk in Betrieb gesetzt. Das Vorhaben war in China und ausserhalb umstritten. Die Befürworter argumentierten mit wirtschaftlicher Notwendigkeit und der Regulierung des riesigen Flusses, der immer wieder Überschwemmungen verursacht hatte, die Gegner führten ökonomische und ökologische Risiken ins Feld und kritisierten die Umsiedlungen. Seit der sehr breite, optisch aber wenig spektakuläre Bau in Betrieb ist, hört man wenig darüber, wie er sich bewährt – das Internet (auf deutsch und englisch) bietet wenig Informationen darüber, wie sich Nachteile und Nutzen nun entwickeln. Hatte der SPIEGEL 2010 noch berichtet, dass wegen Hochwasser Müllmassen den Damm zu verstopfen drohten, so berichtete ein Jahr später die „Welt“, der niedrige Wasserstand sei ein Problem für das Kraftwerk und die weiter meerwärts liegenden Gebiete, und die Regierung habe Nachbesserungen angekündigt. Neuere Auseinandersetzungen mit dem Thema gibt es offenbar nicht - was mehr über den Medienbetrieb aussagt als über als über den Damm.

Die Behörden haben daraus eine Touristenattraktion gemacht, Tausende werden in Bussen herangeführt, schauen von der Plattform herunter und werden an Modellen über die Funktionsweise orientiert.


Seilbahn auf den Huashan

Einen eintägigen Ausflug zum Huashan, einem im Daoismus heiligen Berg 120 km östlich von Xian, haben wir beim lokalen Reisebüro gebucht. Am Morgen zwischen 7 und 8 Uhr sammelt der Bus eine Stunde lang die Teilnehmer in der ganzen Stadt ein – es sind ausser uns nur Chinesen. Die Reiseleiterin orientiert im Bus die Teilnehmer in einem dreiviertelstündigen, staccatohaft ohne Punkt und Komma vorgetragenen Referat; da sie schlecht englisch kann, kommen wir mit einer zweiminütigen Zusammenfassung davon. Um elf wird die Fahrt unterbrochen, damit man in einer grossen Verpflegungsstätte essen kann. Es ist neblig und regnet leicht. So sind wir nicht so unglücklich, dass es extrem lang dauert, bis wir schliesslich mit der Gondelbahn auf dem Berg ankommen. Bei jeder Etappe wird die Gruppe wieder ausführlich instruiert, für uns reichen ein paar Brocken. Die Rückfahrt am Abend dauert endlos, das Verhältnis von Fahrzeit und Aufenthalt ist suboptimal.
Deshalb versuche ich es allein zwei Wochen später bei schönsten Herbstwetter noch-mals auf eigene Faust. Die Hinfahrt – U-Bahn zum neuen Schnellzugbahnhof, dann der 300 km/h-Schnellzug – ist optimal; 3 Stunden, nachdem ich das Haus verlassen habe, stehe ich auf dem Berg, der diesmal im Sonnenschein erstrahlt. Die Heimfahrt ist dann komplizierter und dauert nicht weniger lang als das letzte Mal: Da es keine Plätze in einem Schnellzug gibt, muss ich zuerst mit dem Taxi den Bahnhof wechseln, dort anderthalb Stunden auf den nächsten Zug warten, der natürlich nicht eine halbe, sondern zwei Stunden für die Strecke braucht und überfüllt ist. Dafür gibt es viel Volksleben zu sehen, im einfachen, etwas vergammelten Restaurant vor dem Bahnhof, wo an offenem Feuer eine wunderbare Nudelsuppe für umgerechnet einen Franken zubereitet wird, und im Gedränge im Zug, wo die Vielfalt der chinesischen Bevölkerung wieder einmal so augenscheinlich wird. Schon ein Wagen voller Leute zeigt, dass die Chinesen keine ethnisch, sondern eine kulturell definierte Nation sind – allein die Hautfarben decken die Bandbreite von Skandinavien bis Nordafrika ab. Es sind die immer schwarzen, lockenlosen Haare, die zu einem einheitlicheren Gesamtbild als in Europa führen, wobei die Mode, die Haare zu meist rötlich zu tönen und mit Dauerwellen zu verändern, hier bereits stark verbreitet ist bei Frauen und bei jungen Männern.

Huashan im Nebelregen

Der Huashan, ein 2000 m hoher Berg, der ziemlich unvermittelt aus der Ebene des Ge-lben Flusses aufsteigt, hat fünf Gipfel und gilt als schwierig im Aufstieg, muss man doch teilweise über Holzplanken entlang senkrechter Wände gehen. Doch es gibt nun zwei Seilbahnen, welche das Ganze zum spektakulären Kindespiel machen. Die häufig steilen Wege zwischen den fünf Gipfeln bestehen fast ausschliesslich aus Treppen, in den Fels gehauen oder aus Beton gebaut und mit Ketten gesichert. So kann man stundenlang treppauf und –ab steigen und fndet immer wieder wunderbare Aussichtspunkte, Tempel und Verpflegungsmöglichkeiten – der heilige Berg ist zum grossen Naturpark geworden. An einigen Stellen können die Mutigen eine senkrechte Wand hochsteigen oder sich auf einen Plankenweg hinunterhangeln für ein Foto. Die Treppenwege werden ständig gewischt, Parkwächter sammeln jede weggeworfene Petflasche sofort ein.

Huashan bei Sonnenschein

Beim ersten Besuch, wo der Nebel nur selten einen kleinen Ausblick gestattet, hat der Berg eine geheimnisvolle Aura. Der schöne Herbsttag hingegen, obwohl ein gewöhnli-cher Freitag, hat viele Leute angezogen. Es ist ein reges Kommen und Gehen, es wird geschrieen und gejauchzt, um das Echo zu testen.

Gut besuchter Berg

Dann ist es plötzlich wieder still und man hört nur eine melancholische Klarinettenmelodie eines älteren Mannes, der sich ins Gras gesetzt hat. Ein Soziologe hat Gesellschaften wie die chinesische „time compressingsocieties“ genannt: die Vergangenheit spielt eine grosse Rolle und ist sehr präsent, gleichzeitig ist die Veränderung so rasant, dass die Gegenwart eigentlich immer schon überholt ist und die Zukunft bereits in den Blick gerät. Bei der Rückfahrt im Zug sitzt vis-à-vis ein älterer Mann vom Land;die Haut von der Arbeit draussen gegerbt, sieht er aus wie aus einem alten China-Film - da klingelt sein Handy mit einer Melodie aus dem Forellenquintett von Schubert.

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Gesteinsprobe
Lieber Werner
Ich denke der Granit vom Hua Shan Gebirge fehlt uns in der Gesteinssammlung (wobei ich mir nicht 100%ig sicher bin - Roger Gutzwiler hat uns so einiges hinterlassen). Falls du wieder einmal am heiligen Berg bist, wir wären von der FS an einer Gesteinsprobe interessiert.... ;-)
lieber Gruss aus dem überdurchschnittlich warmen Herbst - markus

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